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Doodles
Die Wissenschaft vom Kritzeln
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Dieser Artikel stammt aus P.M. Magazin
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Einstein tat es, die Monroe tat es, und die Mehrzahl aller
Normalsterblichen tut es ebenfalls: beim Telefonieren Zettel vollkritzeln.
Jetzt haben Wissenschaftler sich der achtlosen Gemälde angenommen –
und verblüffende Bedeutungen darin gefunden.
Sie dürften die am meisten missachteten Kunstwerke der Welt sein: die
unzähligen kleinen Kritzeleien, hingestrichelt an den Rand von Zeitungen
oder Notizzetteln, auf Servietten, Telefonbücher oder
Zigarettenpackungen. Sie entstehen bei Konferenzen, in Vorlesungen oder bei langen Telefonaten, immer
dann, wenn sich der Mensch beim Zuhören langweilt. Ist der Kritzelanlass um, werden die grafischen
Ergüsse zumeist schamhaft vernichtet.
Doch zu Unrecht! Eine neue Bewegung schenkt den missachteten Kleinkunstwerken vermehrte
Aufmerksamkeit; Psychologen versuchen, sie zu deuten; Berühmtheiten kritzeln für einen guten Zweck; und
Sammler reißen sich um die besten Exemp-lare. Im englischen Sprachraum gibt es sogar ein Wort für die
Nebenbei-Zeichnungen: »Doodles«, angeblich abgeleitet vom deutschen Wort »dödeln«. Wer doodelt, liegt
voll im Trend: Australier und Amerikaner begehen sogar den »National Doodle Day«, den nationalen
Kritzeltag, wenn man so will.
Was die Strichelzeichnungen so unscheinbar macht, ist zugleich das Interessanteste an ihnen: Sie
entstehen komplett nebenbei. Während der Geist mit anderem beschäftigt ist, zieht die Hand Linien aufs
Papier, direkt am Verstand vorbei. Kein Wunder, dass Doodles mit Träumen verwandt sind. Der Psychologe
Georg Franzen schwärmt: »Die gestaltenden Kräfte, die sich in den Kritzeleien manifestieren, sind im
Grunde dieselben, die auch in unseren Träumen am Werk sind. Weil keine Selbstbeobachtung stattfindet, ist
das Ergebnis so gewichtig. Es stimmt mit der inneren Natur und der momentanen innerseelischen Stimmung
des Verfassers überein. Kritzeleien lassen einen Lebensprozess der Seele sichtbar werden.«
Doch wie man die Bedeutung der Zeichnungen ermitteln kann, darüber gehen die Meinungen weit
auseinander. Am einen Ende des Extrems steht sicherlich jemand wie »Corinna«, die in einem Interforum
gesteht: »Ich male beim Telefonieren, bei Fortbildungen. Ich bin ein unruhiger Mensch und halte so meine
zappeligen Gliedmaßen in Schach.« Die Zeichnungen enthielten dann kaum tiefere Botschaften als den
Wunsch nach mehr Bewegung.
Das ist für Professor Alfred Gebert, Psychologe an der Fachhochschule des Bundes in Münster, zu
eingleisig gedacht. Gern lässt er Studenten in seinen Vorlesungen die Kritzeleien ihrer Nachbarn
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interpretieren. Nach seiner Beobachtung kann man verschiedene Motive unterscheiden: »Kreise, Ellipsen,
Kurven oder Spiralen sprechen für schüchterne oder ängstliche Menschen. Herzen zeigen, dass man
verliebt ist, Zacken und Spitzen deuten auf Aggressivität. Ausnahme sind nur Sterne, die zeigen keine
Aggression, sondern dass jemand hoch hinaus will; er ist eifrig, ein Traumtänzer. Dreiecke, Quadrate oder
Rechtecke deuten auf Leute, die Prob-leme rational lösen. Emotionen kommen da eher zu kurz. Wer Blumen
zeichnet, liebt Harmonie und arbeitet gerne im Team. Gesichter malen kann nicht jeder, aber wer es kann,
zeigt, dass er gesellig ist und Humor hat.«
Zu ähnlichen deutlichen Ergebnissen kommen die Hildesheimer Forscher Norbert Hilbig und Inge Titze. Sie
haben Schulbank-Kritzeleien untersucht und fanden, dass sie die vorherrschenden Gefühle der Schüler
spiegeln: Aggression gegen Lehrer und Fantasien von Freiheit und Getragensein. Schiffe, Flugzeuge oder
Inseln im Ozean deuten die Forscher als Fluchtfantasien, geometrische Figuren als »ruhige, sichere
Gebilde«, die den Wunsch zeigen, solche Eigenschaften in seinem Leben wiederzufinden.
Auch solche Deutungsansätze greifen nach Ansicht von Franzen allerdings zu kurz: Seiner Auffassung
nach kann ausschließlich der Kritzler selbst herausfinden, was seine Zeichnungen bedeuten. Der Weg dazu
ist derselbe wie in der Traumdeutung: die Assoziationstechnik. Dazu berichtet der »Künstler« in entspannter
Atmosphäre, welche Einfälle und Ideen ihm zu seiner Zeichnung kommen. Erst aus der Gesamtheit der
freien Assoziationen lässt sich der Sinngehalt entschlüsseln. Die Symbole haben also verschiedene
Bedeutung: Ein gekritzelter Stern kann beim einen ein Glückssymbol sein, während er beim anderen an ein
früheres Erlebnis erinnert.
Doch womöglich haben die unbewussten Zeichnungen noch einen ganz anderen Zweck. Der
österreichische Kunsthistoriker Ernst Gombrich vermutet, die Kritzeleien könnten dazu dienen, die
Konzentration aufrecht zu halten. Besonders bei monotonen Aufgaben tendiert nämlich der Geist zum
Wandern. Hält man sein Gehirn ein kleines bisschen beschäftigt, ist es einfacher, bei der Sache zu bleiben.
So ließen sich angeblich Rubens beim Malen und Mozart beim Notenkopieren klassische Werke vorlesen.
Viele Studenten machen eine ähnliche Erfahrung: Kritzeln sie während der Vorlesung, können sie sich den
Stoff besser merken, als wenn sie untätig zuhören. Die geringe Anregung von außen verbessert
paradoxerweise die Konzentration, weil sie den Geist am Abschweifen hindert.
Dabei hat das Kritzeln als Nebenbeitätigkeit gegenüber dem Musikhören sogar einen zweiten Vorteil: Es
wird nicht nur der Geist gelockert, sondern der Inhalt des Gezeichneten hilft auch, die Konzentration zu
verbessern. Gombrich: »Klinische Beobachtungen zeigen, dass das Kritzeln eine häufige dynamische
Funktion für den Normalmenschen hat: Die in den Kritzeleien versteckten Fantasien und Gedanken sind
jene, von denen sich der Zeichner zu befreien wünscht, damit sie den Prozess der Konzentration nicht
stören.« Wut oder Furcht können über einen »Nebenausgang« den Geist verlassen und stören das Zuhören
nicht länger.
Doch im Ergebnis des Kritzelns kann auch jede Menge Kreativität stecken – wie sie häufig auftaucht,
wenn das Unbewusste am Verstand vorbei agiert. Schon Paul Klee wusste das, und so begann er seine
Werke, indem er visuelle Fantasien schuf und dabei die bewusste Kontrolle so weit wie möglich fallen ließ.
Er erlaubte den Formen, unter seiner zeichnenden Hand ein Eigenleben zu führen, und folgte den
Eingebungen, wo immer sie ihn hinführten.
Später machten die Surrealisten um André Breton daraus ein Programm: Beim »Automatischen
Schreiben« versetzten sich die Maler in einen Zustand der Trance, nahe dem Wahn, in dem sie unbewusst
zu zeichnen, zu schreiben oder zu malen begannen. Die entstehenden Symbole sollten dann direkt aus dem
Unterbewussten kommen.
Verglichen damit lieferte das Unterbewusstsein des dänischen Physikstudenten Piet Hein ein verblüffend
praktisches Resultat: Als der angehende Physiker in einer Vorlesung von Werner Heisenberg vor sich hin
kritzelte, erfand er ein kompliziertes 3-D-Puzzle aus sieben Grundformen. Noch heute findet man es als
»SOMA-Würfel« in vielen Spielwarengeschäften.
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Die kreative Kraft der Kritzeleien wird sogar in Therapien genutzt: So statten Psychologen an der
University of Technology in Sydney Jugendliche in psychotherapeutischen Gruppen erst einmal mit Stift und
Papier aus. Sobald sie mit dem Kritzeln beginnen, können sie aufmerksamer zuhören und offenbaren in ihren
Zeichnungen Dinge, die sie nur schwer verbalisieren könnten. Über das Spielen mit den Kritzeleien
entstehen heilende Einsichten – manchmal so im Verborgenen, dass nicht einmal die Betroffenen sie in
Worte fassen können.
Auch Gesunde können aus dieser Stärke der unbewussten Malereien ihren Nutzen ziehen. So rät die
amerikanische Kunsttherapeutin Virginia Minar: »Kritzeln Sie beim Warten. Das ist ein verlässliches Mittel
zum Stress-Abbau. Haben Sie Farbstifte und Papier stets dabei, dann können Sie auch unterwegs
zeichnen.«
Doch das Nebenbei-Zeichnen lässt sich noch viel gezielter einsetzen. So rät die amerikanische
Kreativitäts-Lehrerin Janet L. Read: »Konzentrieren Sie sich auf das, was Sie schaffen oder lösen wollen.
Dann entspannen Sie Ihren Geist und lassen alles, was an Gefühlen oder Ideen hochkommt, als Zeichnung
auf ein weißes Stück Papier laufen.«
Anschließend, so empfiehlt die Autorin, solle man das Geschaffene beiseite legen und erst später mit
frischem Geist wieder darauf blicken. Oft finden wir dann darin die Lösung zu unseren Problemen –
allerdings ist sie nur für den Zeichner selbst zu erblicken.
Autor/in: Nicolai Schirawski [6]
Quellen-URL: http://www.pm-magazin.de/a/die-wissenschaft-vom-kritzeln
Verweise:
[1] http://twitter.com/share
[2] http://www.pm-magazin.de/forward?path=node%2F103080
[3] http://www.pm-magazin.de//a/pm-magazin
[4] http://www.pm-magazin.de/m/pm-magazin
[5] http://www.pm-magazin.de/sites/www.pm-magazin.de/files/imagecache/lightbox/images/content/22735_1.jpg
[6] http://www.pm-magazin.de/autor/nicolai-schirawski
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Kunstgekritzel ist Yoga für dein Gehirn
Kunstgekritzel fördert deine Kreativität, Konzentrationsfähigkeit, Ausgeglichenheit und Entspannung. Nicht umsonst heißt es: Kritzellust statt Alltagsfrust!
Du hast schon in der Schule gekritzelt, wenn es mal langweilig wurde? Kunstgekritzel ist eine Kunstform, in der sich einfache Muster wiederholen. Die Kritzelei geschieht bewusst, konzentriert - nicht einfach so nebenbei.
Dieses bewusste Kritzeln öffnet dir eine Welt der Kreativität, der Entspannung und Schönheit.
Es hilft dir einfach mal vom Alltag abzuschalten (Stichwort: "Yoga for your brain"), Gedanken loszulassen, die Zeit zu vergessen.
Es geht keinesfalls darum perfekte Bilder zu kritzeln, sondern das Ergebnis und sein eigenes Ich einfach so zu nehmen wie es ist.
Auf diesem Blog findest du viele Beispiele und Anleitungen wie du deine eigene Kritzelwerkstatt eröffnen kannst.
Ich wünsche dir viel Spaß und Freude beim Kritzeln.
PS: Kunstgekritzel findet Ihr auch auf Facebook unter:
http://www.facebook.com/pages/kunstgekritzel-austria
Kunstgekritzel fördert deine Kreativität, Konzentrationsfähigkeit, Ausgeglichenheit und Entspannung. Nicht umsonst heißt es: Kritzellust statt Alltagsfrust!
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